«Mein Schüler wollte nur noch in den Jihad»

pressespiegelAls erhöht schätzt der Nachrichtendienst des Bundes die terroristische Bedrohung in der Schweiz ein. Auch geht aus dem dritten Tetra-Bericht der Task Force zur Bekämpfung des jihadistisch motivierten Terrors hervor: «Unser Land Schweiz gehört zur westlichen, von Jihadisten als islamfeindlich eingestuften Welt und stellt damit ein mögliches Ziel terroristischer Anschläge dar.»

Laut der Task Force ist die Verhinderung einer Radikalisierung das effizienteste Instrument zur Terrorismusbekämpfung. Fedpol-Direktorin Nicoletta della Valle ruft deshalb die lokalen Akteure auf, aufkeimende Radikalisierungen zu erkennen und dagegen vorzugehen. «Behörden, die nahe an den Menschen sind, etwa Schulen, Vereine oder Lehrbetriebe, müssen genau hinschauen.»

«Hinschauen sehe ich als soziale Verantwortung»

Beim Zentralvorstand Berufsbildung Schweiz rennt das Fedpol offene Türen ein. «Hin- und nicht wegzuschauen, sehe ich als soziale Verantwortung aller Branchen», sagt Zentralvorstand Andreja Torriani. Das Gewerblich-industrielle Bildungszentrum GIBZ in Zug, in dem er als Berufsfachschullehrperson tätig ist, habe bereits zwei junge Männer mit muslimischem Hintergrund von einer Radikalisierung abhalten können. «Als ein junger Mann in einer allgemeinbildenden Lektion sagte, den Westen müsse man vernichten, weil er die Muslime unterdrücke, schrillten bei mir die Alarmglocken.»

Dank etlicher Gespräche, der Hilfe von Fachstellen und dessen Eltern sei der junge Mann zur Vernunft gekommen. «Er bedankte sich und realisierte, dass er in ein falsches Fahrwasser geraten war.» Der Auslöser sei eine Identitätskrise gewesen. «Seine Freunde hatten ein Problem damit, dass er sich das erste Mal in eine Schweizerin verliebte und schleppten ihn in Moscheen mit.» In einem dritten, ausserkantonalen Fall konnte Torriani hingegen nichts mehr unternehmen. «Alle Gespräche nützten nichts. Der Schüler driftete völlig ab und wollte nur noch nach Syrien in den Jihad reisen.» Darauf habe er ihn bei der Polizei gemeldet.

«Die Schule ist keine Polizei»

Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH ist dem Aufruf gegenüber kritisch eingestellt. «Die Schule ist keine Polizei. Lehrpersonen führen sicher keine Spionagen durch», sagt Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogik. Ginge es darum, Schüler speziell im Auge zu behalten, stehe das Kindeswohl und nicht die Terrorbekämpfung im Vordergrund. «Dass Lehrer Handys kontrollieren oder Schüler auf mögliche terroristische Tendenzen durchleuchten, kommt auf keinen Fall infrage.»

Zudem verfügten Schulen nicht über die nötigen Mittel, um mögliche Terroristen frühzeitig zu entlarven. «Wenn Jugendliche Probleme haben, sind Schulen heute schon aktiv und schalten Fachdienste ein.»

«Jugendliche sollen sich nicht beobachtet fühlen»

Auch Vereine reagieren zurückhaltend. «Es gibt keinen Grund zur Panik. Schliesslich ist noch lange nicht jeder Jugendliche ein möglicher Jihadist», sagt Marcus Casutt, Geschäftsleiter des Dachverbands offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz DOJ. Im Rahmen der Angebote der DOJ solle der Spass und die Begleitung der Jugendlichen bei der Identitätsentwicklung im Vordergrund stehen. «Wir wollen nicht, dass sich Jugendliche von Jugendarbeitern beobachtet fühlen.»

Da der Kontakt stark auf Beziehungsarbeit beruhe, erkannten die Jugendarbeiter radikale Tendenzen schnell. Zudem hätten sie bei Bedarf die Möglichkeit, sich an der Hochschule Luzern in einem Fachseminar über die Prävention von Radikalisierungen zu informieren.

Quelle: 20min